Tourist im eigenen Land

Um 8:00 Uhr nehmen wir den Zug ab Winterthur nach Chur. Wir sind noch ein bisschen verschlafen, denn die Packerei hat uns letzte Nacht ziemlich herausgefordert: welche Kleider müssen wir mitnehmen, welche Objektive, welchen Rucksack? Zum Schluss landen wir trotz drastischer Reduktion beim grossen 55-Liter-Rucksack und ca. 16 Kilo Gewicht. Badeurlaub wär einfacher! 

In Chur erwartet uns der Glacier Express nach Zermatt. Der Tag beginnt sonnig und ist vielversprechend. Wir nehmen im verglasten Panorama-Wagen Platz und können beim freundlichen Personal auch gleich etwas zu trinken bestellen. Die Fahrt im langsamsten Schnellzug der Welt beginnt! Immer wieder wird über Kopfhörer Interessantes zur Schweiz und den  Bergen erzählt. Wir fahren dem Rhein entlang bis fast zur Quelle, wir steigen auf Zahnrädern zum Oberalppass auf 2033 Meter hoch, wir zweigen ins Wallis ab und bewundern die Rhone, Aprikosenbäume und hohe Gletscher. Zwischendurch werden wir mit Essen, Dessert und Getränken verwöhnt. Wir sind mit Chinesen, Südamerikanern und anderen Nationen wie Touristen im eigenen Land unterwegs. Ein bisschen erstaunt uns, wie lieblos die Schweiz verkauft wird: Da erklärt man den Chinesen mangels Deutschkenntnissen, dass sie nun "Bergekäse" zum Dessert bekämen, die Namen der vorbeiziehenden Berge sind unbekannt und ein Wägelchen mit ausgestopfter Steinbock-Gallionsfigur soll zum Souvenirkauf animieren, was kläglich misslingt. Die Zugfahrt ist wegen ihrer landschaftlichen Reize trotzdem für alle ein tolles Erlebnis.

In Zermatt angekommen schleppen wir in grosser Hitze unseren Rucksack zum Hotel. Dort dürfen wir erst einmal einen Welcome-Drink auf dem kühlen Balkon einnehmen. Das Vernissage Backstage Boutique Hotel ist ein Volltreffer. Das gesamte Interior wurde vom Besitzer Heinz Julen designt und liebevoll gestaltet, das Zimmer (Nr 303) ist ganz aussergewöhnlich eingerichtet, mit Bioethanol-Cheminée und kleinem Balkon. Wir beschliessen, die Wellness-Landschaft zu erkunden und tauchen in ein Geruchs-, Gefühls- und Hörerlebnis ein. Später machen wir uns zum Riedweg auf, von wo aus man einen unverbauten Blick auf das Matterhorn geniessen kann. Es ist wolkenlos und die Dämmerung setzt langsam ein. Sieht man das Matterhorn zum ersten Mal, stockt einem vor Ehrfurcht fast der Atem: mächtig, erhaben und wunderschön zeigt es sich uns von seiner schönsten Seite. Um 21.15 Uhr wird die Route der Erstbesteigung vor 150 Jahren mit 49 weissen und einer roten Lampen visualisiert. Eine Lampe nach der anderen strahlt, bis nach 11 Minuten der Weg nach oben leuchtet. Damals kamen 4 der 7 Bergsteiger nach erfolgreicher Gipfelstürmung zu Tode, aber seither ist der Run zum Gipfel ungebrochen. An manchen Tagen stehen 100 Bergsteiger gleichzeitig oben. Ob das noch schön ist?

Wir fallen nach diesem Tag todmüde in unser Lifestyle-Bett und schlafen bei flackerndem Kaminfeuer tief und fest bis zum nächsten Morgen. 

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